Die Arabische Liga hat Baschar al-Assad zum Rücktritt aufgefordert. Aber ist die Organisation der arabischen Staaten überhaupt in der Lage, Druck auf den syrischen Machthaber auszuüben? Welche Schwächen halten die Arabische Liga davon ab, ein ernstzunehmender Akteur auf der internationalen Bühne zu werden? Didier Billion forscht am IRIS, dem Institut für internationale Beziehungen und strategische Fragen in Paris. Er ist überzeugt, dass die Arabische Liga nicht zur Lösung des Syrien-Konflikts beitragen kann. Mit Didier Billon sprach ARTE Journal.
Fanny Lépine für ARTE Journal: Für den Fall, dass Baschar al-Assad schnell abdanken sollte, bot ihm die Arabische Liga freies Geleit und einen sicheren Platz im Exil an. Kann dieses Angebot den syrischen Machthaber beeinflussen?
Didier Billon: Nein, das glaube ich nicht. Seit fast einem Jahr kommen von der Arabischen Liga, allen voran Saudi-Arabien und Katar, nichts als Drohungen. Sie drohen damit, Druck auszuüben. Und sie machen Baschar al-Assad Versprechungen, damit dieser sein Land demokratisiert oder es verlässt. Das syrische Regime hatte oft nur Verachtung für sie übrig und bislang alle Vorschläge der Liga abgewiesen. Deshalb glaube ich nicht, dass diese Arabische Liga Druck auf das syrische Regime ausüben kann. Effektiv Druck machen könnte nur Russland, oder auf eine andere Weise vielleicht auch Kofi Annan. Aber die Arabische Liga ist wohl nicht in der Lage, einen Rücktritt Baschar al-Assads zu erwirken.
Welches sind die Schwächen der Arabischen Liga?
Didier Billon: Erstens: Es ist schon ziemlich seltsam, dass Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien es sich herausnehmen, Syrien Lektionen in Sachen Demokratie zu erteilen. Natürlich hätte das Land eine echte Demokratisierung verdient. Aber es ist doch paradox, wenn ausgerechnet Katar und Saudi-Arabien den Mund aufmachen – alle beide Muster an demokratischer Tugendhaftigkeit. Es ist fast schon lustig, dass diese Diktauren anderen Vorschriften machen wollen. Zweitens: Die Arabische Liga wird uns immer als relativ homogene Einheit präsentiert, aber das ist sie nicht. In Sachen Syrien gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Man weiß sehr gut, dass Staaten wie der Irak, Algerien, vielleicht auch der Jemen nicht zu den schärfsten Kritikern des syrischen Regimes gehören. Katar und Saudi-Arabien haben zwar, wie schon erwähnt, von Anfang an enorm Druck auf das syrische Regime ausgeübt. Nicht aber die anderen Staaten. Weil die Einheit fehlt, wirken die Drohgebärden nicht. Das ist eine Tatsache.
Auch die EU hat anderen Ländern keine Lektionen zu erteilen. Auch Europa geht nicht gerade gut mit der syrischen Krise um. Aber um noch einmal auf die Arabische Liga zuückzukommen: Sie ist meiner Meinung nach nicht in der Lage, die Ereignisse in Syrien nachhaltig zu beeinflussen.
Das syrische Regime hat der Arabischen Liga mehrmals vorgeworfen, im Dienste des Westens zu stehen. Ist das richtig?
Didier Billon: Das ist reine Rhetorik. Man kann nicht sagen, dass die Liga als solche im Dienste des Westens steht, weil sie gespalten ist. Einige Staaten orientieren sich jedoch sehr stark an den westlichen Großmächten. Sie stehen aber nicht in ihrem Dienst. Das sind wie gesagt Saudi-Arabien und Katar, enge Verbündete der USA. In der Syrien-Frage liegen sie auf einer Linie mit den USA und einigen anderen westlichen Staaten. Es gibt jedoch innerhalb der Arabischen Liga auch Staaten, die geradezu entgegengesetzte Wege gehen oder zumindest deutlich andere. Zu diesen Staaten zählen Irak, Algerien und einige andere. Aber diese Dinge laufen nicht mechanisch ab. Deshalb passt der Ausdruck “im Dienste stehen” nicht so gut.
Wie waren vor dem Ausbruch der Krise in Syrien die Beziehungen zwischen dem Assad-Clan und der Arabischen Liga?
Didier Billon: Das war immer ein sehr gespanntes Verhältnis. Das syrische Regime war – ohne allzu weit ausholen zu wollen – immer der Meinung, dass die Arabische Liga nicht aktiv genug in der Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts war. Für das syrische Regime war das natürlich ein extrem heikler Punkt, immer schon. Nicht weil Syrien pro-palästinensischer wäre als die anderen arabischen Staaten, sondern weil ein Teil des syrischen Territoriums besetzt wurde, annektiert von Israel. Das sorgte schon immer für erheblichen Konfliktstoff. Das syrische Regime hat der Arabische Liga schon immer vorgeworfen, Israel und somit auch den USA zu sehr entgegenzukommen. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Die Beziehungen waren daher nie sehr gut, und die Situation der vergangenen Monate hat nicht dafür gesorgt, dass sich die Beziehungen Syriens zu dieser Organisation gebessert hätten. Der Druck ist so groß geworden, dass sich Syrien und Arabische Liga heute feindseliger gegenüberstehen denn je.
Die Arabische Liga war also von Anfang an in einer geschwächten Verhandlungsposition?
Didier Billon: Bislang hat sich die Arabische Liga vor allem um Verlautbarungen gekümmert. In dieser seit Jahrzehnten sehr unruhigen Region konnte sie niemals tiefgreifende Veränderungen bewirken. Man darf von dieser Organisation nicht viel erwarten, vor allem in Sachen Effizienz. Aber immerhin gibt es seit der Syrien-Krise eine gewisse Entwicklung. Zum ersten Mal wollte die Mehrheit der darin vertretenen Länder den Lauf der Dinge ändern. Resolutionen wurden beschlossen, Erklärungen abgegeben und Sanktionen verhängt. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Liga, dass sie eine Sache wirklich angepackt hat, wenn auch mit den bereits erwähnten Uneinigkeiten und Einschränkungen.
Man kann nicht sagen, dass die Organisation von Anfang an schwach war. Traditionell hat sie in den Konflikten der vergangenen Jahrzehnten vor allem Kommuniquees produziert. Aktiv geworden ist sie kaum. Das ändert sich nun ein bisschen, und das fällt nicht zu Gunsten des syrischen Regimes aus – immerhin.
Ellen Hofmann und Fanny Lépine/ARTE Journal
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