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Syrische Bloggerin Rima Marrouch gewinnt den Anna-Lindh-Journalistenpreis

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Die Anna-Lindh-Stiftung für den Dialog zwischen den Kulturen und die Allianz Kulturstiftung richteten am 18. Oktober die 6. Verleihung des “Mediterranean Journalist Award” in Berlin aus. Ein Ehrenpreis, der “Special Recognition Award”, wurde dieses Jahr der syrischen Journalistin und ARTE-Korrespondentin Rima Marrouch für ihren herausragenden Einsatz bei der Berichterstattung zu Syrien verliehen.

“Notizen aus Syrien” heißt der Blog, den Rima Marrouch seit März 2012 für die ARTE Plattform Die arabische Welt in Aufruhr schreibt. Die junge Frau polnisch-syrischer Abstammung lebt heute im Libanon und erzählt uns, wie sie zu dieser Arbeit gekommen ist, worin ihre Motivation und Inspiration liegt.  

Ich heiße Rima Marrouch. Ich bin 29 Jahre alt und Journalistin. Ich bin Syrerin, aber auch Polin, eine komische Mischung. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Identität ist ein seltsames Phänomen. Manchmal fühle ich mich mehr als Syrerin, manchmal mehr als Polin, manchmal polnisch-syrisch und manchmal fühle ich einfach: ich bin ich.

Sie können das Interview in englischer Originalfassung anhören:


media

 

ARTE : Sie haben eine Auszeichnung für Ihren Blog auf der ARTE-Plattform “Die arabische Welt in Aufruhr” bekommen. Wie fühlen Sie sich damit?
Rima Marrouch: Ich bekam den Anna-Lindh-Preis in einem Moment des Zweifels, in dem man sich selbst all diese existentiellen Fragen stellt: Wer bin ich? Was mache ich? Wohin gehe ich? Ich war sehr froh, zu sehen, dass die Leute tatsächlich lesen, was ich schreibe und dass es diese Anerkennung gibt. Es war ein gutes Gefühl.


Die Gewinner und Jury des Anna Lindh Journalistenpreises 2012; Foto: Bernhard Ludewig. Rima Marrouch ist die vierte Person von rechts. Foto: Bernhard Ludewig.

ARTE : Wann und warum fingen Sie an zu bloggen?
Ich fing mit dem Bloggen vor einem Jahr an. Ich kann mich noch an den ersten Blog erinnern. Er war für die “LA Times”, die Zeitung, für die ich arbeite. Ich fuhr ins Büro der “LA Times” in Beirut. Das war an dem Tag, an dem die syrischen Truppen Latakia bombardierten. Mein Kollege sagte: “Warum schreibst du nicht darüber?” Also machte ich mich an die Arbeit. Es gelang mir, Menschen vor Ort zu kontaktieren und ich schrieb darüber.
Ich glaube die Frage “Warum bloggen Sie?” ist weiter zu fassen: “Warum schreiben Sie?” Jeder hat wahrscheinlich andere Gründe dafür. Bei mir hat es vielleicht mit meinem Vater zu tun, der uns immer zum Schreiben animierte, wenn wir aufgebracht oder glücklich waren. Er ist eigentlich Doktor, hat aber zwei Bücher mit Kurzgeschichten herausgebracht. Er hat uns gleich mehrere Methoden beigebracht, wie man Dinge loswerden und für sich verarbeiten kann: Entweder man geht laufen, schwimmen oder man schreibt.

ARTE : Was hat sich in Sachen freier Meinungsäußerung seit der Revolution verändert?
Seit dem Arabischen Frühling hat sehr viel auf diesem Gebiet verändert. Meine Generation unterscheidet sich ganz deutlich von der meines Vaters. Wir sind offener und direkter. Wir haben gelernt gesellschaftliche Tabus oder Normen zu brechen. Doch es ist noch ein weiter Weg. Der Arabische Frühling war wie eine riesige Explosion, bei der die Menschen endlich erkannten: “Wir haben eine Stimme!” Ich denke, wir müssen lernen, unsere Meinung auf eine Art zu äußern, die konstruktiv ist und keinen Schaden anrichtet. Jedenfalls haben wir eine weitaus bessere Ausgangsposition als vorherige Generationen.

ARTE : Welchen Einfluss haben die neuen Medien auf diese Entwicklung? Was sind die Risiken dieser Durchsichtigkeit, die durch “Social Media” entstehen?
Die Syrer sind süchtig nach Facebook. Über Facebook haben wir Zugang zu Information und Nachrichten. Es erstaunt mich immer wieder zu sehen, besonders bei dieser Revolution, wie Aktivisten Social Media und YouTube als Werkzeuge einsetzen. Es gibt keine Geheimnisse mehr oder zumindest ist es schwieriger geworden, etwas geheim zu halten und Informationen für sich zu behalten. Am Anfang waren die Leute vorsichtiger, manchmal benutzten sie nur ihren Vornamen, manchmal nur einen Spitznamen oder ihr Aktivisten-Pseudonym. Jetzt treten die Menschen aus dem Schatten, weil sie glauben, dass wir ein Stadium erreicht haben, in dem die Dinge klar und offen sind. Wir sind im Krieg, ob es uns gefällt oder nicht. Die Menschen haben akzeptiert, dass manche von ihnen sterben und dass sich keiner über die Entwicklung des Landes sicher ist. Es ist nicht die Zeit, Geheimnisse zu haben oder seine Identität zu verbergen. Es gibt noch immer Menschen, die sich versteckt halten, die das Regime nicht aufspüren kann. Sie verharren vor Ort und leisten tolle Arbeit. Jeder muss für sich selbst abwiegen und entscheiden.


Die deutsche Journalistin und Fernsehmoderatorin Astrid Frohloff mit Rima Marrouch; Foto: Bernhard Ludewig.

ARTE : Sie leben derzeit in Beirut. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, in den Libanon zu gehen?
Meine Situation unterscheidet sich ein bisschen von der vieler anderer junger Menschen, die dazu gezwungen waren zu fliehen. Ich lebte bereits außerhalb Syriens, kam allerdings recht oft zu Besuch. Ich bekam ein Jobangebot aus Beirut, deswegen ging ich dorthin und auch deshalb weil Beirut so nah an Syrien liegt, das war mir wichtig. Das war vor der Revolution, da war es sehr schwer für Journalisten in Syrien zu arbeiten. Beirut scheint viele Journalisten geradezu anzuziehen.

ARTE : Versuchen Sie manchmal noch, nach Syrien zu reisen?
Ich war mehrere Male in Syrien. Es ist nicht mehr so schwierig wie vorher und da ist auch nichts Heldenhaftes dabei. Die Rebellen kontrollieren drei Grenzübergänge und bei einem von ihnen kommt man ganz einfach durch. Die türkischen Behörden geben dir einen Ausreisestempel. Es gibt eine Passkontrolle auf der syrischen Seite, sie notieren sich deinen Namen und geben dir den Einreisestempel. Im Landesinneren ist es immer noch gefährlich. Das Schlimmste sind die willkürlichen Bombenangriffe. Man kann sich nicht wirklich vor den Luftangriffen oder den Artilleriefeuern schützen. Aber er ist nicht mehr so schwierig wie noch vor ein paar Monaten.

ARTE: Was ist das größte Problem für die Menschen in Syrien, die jetzt noch im Land sind?
Womit die Menschen in Syrien momentan am meisten zu kämpfen haben, sind die Luftangriffe des Militärs, die Artilleriefeuer und die Scharfschützen. Es mangelt an jeglicher Stabilität. Tausende Menschen haben ihre Häuser verlassen. Als ich die türkisch-syrische Grenze vor einer Woche überquerte, hatten sich ungefähr 3000 Menschen unter Olivenbäumen zusammengekauert. Sie benutzten Decken und Bettlaken, um wenigstens ein bisschen Schatten zu bekommen. Die Sonne war brütend heiß. Jetzt kommt der Winter, es wird regnerisch und kalt. Stellen Sie sich vor, von einem Tag auf den anderen das Zuhause verlassen zu müssen und einer der zahlreichen Flüchtling zu werden, deren Zahl laut UN
bis zum Jahresende auf 700.000 steigen soll. Vor ungefähr einer Woche rief einer der syrischen Minister die Flüchtlinge dazu auf, wieder nach Hause zu gehen. „Welches Zuhause?“ habe ich mich gefragt. Diese Familien haben kein Zuhause mehr. Die Zerstörung der Infrastruktur und der Häuser hat so viele Obdachlose mit sich gebracht.

Rima Marrouch mit Andreu Claret, Exekutiv-Direktor der Anna-Lindh-Stiftung. Foto : Bernhard Ludewig.

ARTE : Was denken Sie über politische Eingriffe in Syrien? Was wäre die beste Unterstützung und Hilfe für die Menschen vor Ort?
Manchmal wünschte ich, dass die Syrier auf sich selbst gestellt wären, dass sich weder Russland, Iran, die Golfstaaten oder die westlichen Länder einmischten. Aber das ist ein bisschen naiv, denn es liegt nicht mehr in den Händen der Syrer. Ehrlich gesagt, vor Ort sehe ich nicht so viel Hilfe oder Unterstützung aus den westlichen Ländern. Ich sehe, wie Ärzte ohne Grenzen mit unmöglichen Situationen versuchen umzugehen. Ich sehe sehr viel Hilfe aus Kuwait, aus den Golfstaaten. Und wenn man Hilfe leistet, hat man leider auch ein Recht auf Mitsprache, oder vielleicht auch zum Glück. Es ist sehr leicht, die Leute auf sich aufmerksam zu machen und für sich zu gewinnen. Syrische Ärzte haben zum Beispiel keine Erfahrung mit traumatisierten Patienten und Kriegsverletzungen. Man sieht viele junge Menschen mit amputierten Beinen. Ich habe mit den Ärzten gesprochen und oft erzählten sie mir, das hätte vermieden werden können, aber meistens scheitert es an zu wenig Erfahrung und Fachwissen. Es macht mir Sorgen, dass es so wenig Unterstützung gibt und dass die Menschen sich allein gelassen fühlen. Die westlichen Länder kennen sich viel besser mit der Abwicklung von Hilfsmaßnahmen und der Verteilung von Hilfsgütern aus. Das würde helfen.

Rima Marrouch mit Astrid Frohloff und Andreu Claret. Foto: Deutsche Welle

ARTE : An welchen Projekten werden Sie als nächstes arbeiten?
Ich arbeite weiterhin für eine Zeitung und eine Radiostation. Ich bin wirklich glücklich, wenn ich auf Arabisch und Polnisch schreibe. Ich finde, man erreicht ein anderes Publikum. Ich habe in der syrischen Wochenzeitung “Souriatna” veröffentlicht, was so viel bedeutet wie “Unser Syrien”. Ich schreibe darüber, was ich sehe. Das werde ich wahrscheinlich weiter machen.

 Interview von Sabine Lange und Tanja Goldbecher

© Foto (oben): Everyday Rebellion, a cross-media project on nonviolent struggle all over the world; Supported by ARTE

 

 


Anna Lindh Journalistenpreis 2012 – The Anna Lindh Mediterranean Journalist Award 2012
- 6. Verleihung des “Mediterranean Journalist Award”


Preisverleihung mit anschließendem Empfang:
18. Oktober ab 19 Uhr
Allianz Forum, Pariser Platz 6, 10117 Berlin (in der auch die Allianz Kulturstiftung ihren Sitz hat)
Durch die Preisverleihung führt die bekannte deutsche Journalistin und Fernsehmoderatorin Astrid Frohloff.

Die Anna-Lindh-Stiftung für den Dialog zwischen den Kulturen und die Allianz Kulturstiftung organisieren in Kooperation mit dem deutschen Netzwerk der Anna-Lindh-Stiftung unter der Führung des Goethe-Instituts und dem Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale ZAK sowie derDeutschen Welle, dem COPEAM und Reporter ohne Grenzen als Medienpartner zum sechsten Mal den “Mediterranean Journalist Award”.

Der Journalistenpreis als führende regionale Auszeichnung hat zum Ziel, herausragende journalistische Produktionen zu prämieren, die zu einem besseren Verständnis der Vielseitigkeit euro-mediterraner Kulturen beitragen. Er unterstreicht außerdem die wichtige Rolle, die Journalisten durch eine ausgewogene und gut recherchierte Kulturberichterstattung in der Region spielen.
Der internationalen Jury des Journalistenpreises, bestehend aus bekannten Medienexperten und Intellektuellen unter Vorsitz des französischen Philosophen Edgar Morin, oblag die schwierige Aufgabe, fünf Gewinner aus 403 eingegangenen Bewerbungen in den Bereichen Print, Fernsehen, Radio, Neue Medien sowie einer Spezialkategorie der besten journalistischen Arbeit zum Thema „Die Rolle der Bürger- und Zivilgesellschaft bei der Entstehung von Demokratien und pluralistischen Gesellschaften“ auszuwählen.

>> Mehr Informationen in der Pressemitteilung (pdf)


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